porträt eines unvorsichtigen internetnutzersaus saldo 05/2011 Wer im Internet viel über sein Privatleben preisgibt, darf sich nicht wundern, wenn Fremde mit Hilfe von Google sein Leben minutiös nachverfolgen können. Wie zum Beispiel jenes von Lukas B. aus dem Kanton Solothurn.Lieber Lukas B., Ich hoffe, Sie haben Ihre Ferien in New York letzten Monat genossen. Immerhin haben Sie ziemlich viel unternommen: Sie waren auf dem Empire State Building, am Ground Zero, beim Guggenheim Museum und im Central Park. Die über 700 Fotos, die Sie unter Ihrem vollen Namen auf dem Foto- und Video-portal Flickr eingestellt haben, zeigen die Stadt von ihrer besten Seite. Sogar das Wetter hat offenbar mitgespielt. Sie sind oft und gerne unterwegs. Das belegen Ihre Fotoalben auf Flickr mit inzwischen über 15000 Bildern, die jedem Internetnutzer offenstehen. Besonders aktiv waren Sie 2009: Anfang Jahr besuchten Sie Argentinien und Bolivien. In Ihrem eigens dafür eingerichteten Reise-Blog berichten Sie ausführlich über den mehrwölchigen Trip. Mit einem hellblauen Mietauto und Freundin Sara auf KretaKaum daheim, fuhren Sie laut Ihren Fotos auf Flickr in Laax GR und wenig später in Adelboden Ski. Im Juli waren Sie mit dem Bike im Wallis unterwegs, im September im Tessin - alles gemäss Ihren frei zugänglichen Bildern und Bildlegenden im Internet. Dazwischen genossen Sie den Strand in Kreta. Aktiv, wie Sie sind, lagen Sie dort nicht einfach an der Sonne. Mit einem hellblauen Mietauto erkundeten Sie die Insel. Fast überall mit dabei war Ihre hübsche brünette Freundin Sara. Schön auch, wie Sie im April letzten Jahres Ihren 40. Geburtstag im Kreise Ihrer Freunde feierten. Die kalten Platten können sich sehen lassen. Ihre Freundin Sara ist zwar fast zehn Jahre jünger als Sie - doch es scheint viel zu geben, das Sie verbindet. Sara ist offensichtlich Triathletin - Sie sind Läufer und Biker, wie Ihre Bilder und Ihre Resultate bei Volkssportanlässen zeigen. Auch Skifahren gehört zu den geteilten Leidenschaften. Sport betreiben Sie aber nicht nur als Hobby, sondern recht ambitioniert und erfolgreich. Der Platz in den Top 20 in Ihrer Kategorie bei fast 500 Teilnehmern am Basler Stadtlauf ist eine stolze Leistung, wie die öffentliche Rangliste auf dem Netz verrät. Meine Google-Recherche führte mich auch auf Ihre private Homepage. Sie haben es mir einfach gemacht und dort gleich Ihre Profile bei Facebook, Twitter, dem Videoportal Youtube, dem Lesezeichendienst Delicious und Flickr verlinkt. Ich erfahre, dass Sie im Kanton Solothurn wohnen und arbeiten sowie einen schwarzen Subaru fahren. Sie sind von Beruf Lehrer. Der Mittwoch gehört bestimmt zu Ihren Lieblingstagen. Laut Ihrem Stundenplan ist dann Ihr Pensum schon vor 9 Uhr morgens beendet. In der Freizeit betreiben Sie hobbymässig Webdesign und bearbeiten Filme. Als gelernter Typograf gestalten Sie zudem in der Freizeit gerne Drucksachen. Musikalisch sind Sie Fan von Queen. Sie haben sogar beim Wettbewerb um den grössten Freddie-Mercury-& Queen-Fan der Schweiz mitgemacht. Für den Hauptpreis reichte es leider nicht. Mehr über Ihre musikalischen Vorlieben erfährt man in Ihrem Profil auf dem Internetradioportal Last.fm. Neben Queen und Baschi haben Sie sich Bruce Springsteen am häufigsten angehölrt. Klar, dass Sie an seinem Konzert in Bern 2009 nicht fehlen durften und 2008 für einen Live-Auftritt sogar nach London reisten. Für die Nichte gab es zu Weihnachten einen gebastelten HolzstallSportlich unterstützen Sie den FC Basel sowie die Schweizer Fussball- und Ski-Nationalmannschaft. Das bezeugen Sie einerseits in Ihrem Facebook-Profil, andererseits bestätigen dies die zahlreichen Match- und Rennbilder auf Flickr. Sie sind auch handwerklich begabt. So haben Sie Ihrer Nichte zu Weihnachten 2009 einen Holzstall gezimmert, der keinen Vergleich zu scheuen braucht. Und Ihre selbstgemachten Namensschilder aus Holz für Türen, die Sie zu Hochzeiten verschenken, sehen auf Ihrer Homepage toll aus. Ihre politische Einstellung umschreiben Sie auf Facebook so: "No Blocher, no Bush but Sex." Vielleicht haben Sie deshalb auf Facebook den Daumen gehoben ("gefällt mir") für den Spruch: "Mit Frauen spielt man nicht!...Ausser sie sind ans Bett gefesselt ;-)." Bei meiner Recherche hat mich nur eines beunruhigt: Ihre Freundin Sara, die nach den Bildern zu schliessen mindestens seit 2003 Teil Ihres Lebens war, taucht seit Oktober 2010 plöltzlich nicht mehr in Ihren Fotoalben auf. Und auch die gemeinsame offizielle Homepage von Sara und Lukas ist nicht mehr verfügbar. Die neue Freundin ist 22 Jahre jung, gross, blond und sportlichKönnte es sein, dass Sie sich getrennt haben? Richtig. Auf Facebook steht da unter Beziehungsstatus: In einer Beziehung mit Sabrina - seit November 2010. Ihre neue Freundin ist laut dem Portal Partyguide gross, blond, sportlich, ein Openair-Fan und 22 Jahre alt. Vielleicht eine ehemalige Schülerin? Jedenfalls ging Sie laut dem Suchdienst stayfriends an Ihrem Arbeitsort zur Schule, als Sie dort bereits tätig waren, gemäss dem Steckbrief auf Ihrer Homepage. Planen Sie vielleicht bereits eine gemeinsame Zukunft mit ihr? Ich frage nur, weil Sie beim Lesezeichen-Speicherdienst Delicious kürzlich einen Link auf zum Kauf stehende Einfamilienhäuser in Ihrer Gegend gespeichert haben. Ich habe Sie, Google sei Dank, recht gut kennengelernt. Deshalb wollte ich es nicht unterlassen, Sie zu warnen. Auch wenn es in Ihrem Leben keine Skandale gibt: Wollen Sie wirklich, dass jeder Internetnutzer, jede Schülerin, jeder künftige Chef oder Vermieter, jeder Versicherer oder Stalker so viel über Sie erfahren kann? Sie haben mir geantwortet, dass Sie stets darauf achten, welche Inhalte Sie hochladen. Sind Sie sicher? So entstand das Porträt von Lukas B.Das Porträt von Lukas B. will zeigen, wie sich häppchenweise im Internet gestreute Informationen dank Google zu einem grossen Bild zusammenfügen lassen. Niemand auf der saldo-Redaktion kennt Lukas B. Er wurde zufällig ausgewählt, weil er im Internet mit Bildern, Namen und Informationen sehr freizügig war. Wir haben zu seinem Schutz weder seinen vollen Namen noch seinen genaün Wohnort oder seine Telefon- oder Autonummer genannt, obwohl auch all diese Informationen im Internet verfügbar gewesen wären. Die Idee eines Porträts, das auf Informationen basiert, die ein Nutzer selber ins Internet gestellt hat, stammt vom französischen Magazin "Le Tigre". Wer die Möglichkeiten des Internets nutzen mölchte, sollte dies mit Vorsicht tun. Einige Tipps:
13. März 2011 | Mirjam Fonti, Redaktion saldo Dieser Artikel wurde 2011 mit dem Eugen-Spezialpreis der Bedag ausgezeichnet. |