Rechtlich heikel: Wer viel Strom braucht, soll mehr zahlen für Strassenlaternen

Mirjam Fonti, Landbote vom 4.11.15

Politik Der Stadtrat möchte, dass die Stromkunden künftig pro Kilowattstunde Verbrauch einen Rappen an die Kosten der Strassenbeleuchtung zahlen. Juristen halten diese Lösung jedoch für unzulässig. Wer mehr Strom verbrauche, profitiere nicht stärker von einer öffentlichen Beleuchtung als andere.

Den Steuerhaushalt entlasten – dies ist die oberste Maxime der Sanierungsprogramme wie Balance und Effort14 +. Deshalb wollte der Stadtrat 2013 die Kosten der Strassenbeleuchtung von 3,3 Millionen Franken nicht mehr der Stadtkasse belasten. Stattdessen sollte Stadtwerk diese Ausgaben übernehmen und über die Stromverteilung refinanzieren. Der Gemeinderat sagte dazu Ende 2013 Ja. Doch der Bezirksrat intervenierte mit aufsichtsrechtlichem Beschluss vom 27. März 2015: «Diese Aufgabe muss durch den allgemeinen steuerfinanzierten Gemeindehaushalt der Stadt Winterthur finanziert werden», heisst es im Bericht.

1 Rappen pro Kilowattstunde für Strassenbeleuchtung

Der Stadtrat hat sich in der Folge an den Modellen anderer Städte wie Zürich oder Basel orientiert und eine neue Variante für die Finanzierung der Beleuchtungskosten vorgelegt: Künftig sollen Stromkunden mehr zahlen, und zwar in Form von «Abgaben an das Gemeinwesen». Zu den bisher 0,32 Rappen pro Kilowattstunde für das Förderprogramm Energie sollen 1,02 Rappen für die Strassenbeleuchtung hinzukommen.

Konkret heisst das, wer viel Strom verbraucht, etwa weil er eine Elektroheizung hat, würde künftig deutlich mehr an die Strassenbeleuchtung zahlen als andere. Umgekehrt muss ein Einfamilienhausbesitzer mit eigener Solaranlage kaum mehr etwas an die öffentliche Beleuchtung beisteuern, obwohl er davon womöglich sogar stärker profitiert.

Philipp Egli, Rechtsanwalt in Luzern und Lehrbeauftragter an der Universität Luzern, kritisiert dies: «Wenn die Abgabe nur einer Gruppe von Steuerpflichtigen auferlegt wird, muss man dafür sachliche Gründe anführen können. Es scheint mir nicht sachgerecht, die Strombezüger heranzuziehen und auf den Stromverbrauch abzustellen.»

Schützenhilfe erhält er von René Wiederkehr, Titularprofessor für öffentliches Recht an der Universität Luzern und Professor für öffentliches Recht an der ZHAW: Er verweist auf einen Bundesgerichtsentscheid. Dieser besagt, es sei nicht zulässig, nur von Grundstückeigentümern im Umkreis einer Strassenlampe kommunale Abgaben für die Strassenlaterne zu erheben. Begründet wurde der Entscheid damit, dass die Strassenbeleuchtung der Sicherheit aller Nutzer der Verkehrswege diene und nicht nur den Grundstückeigentümern. «Wenn schon eine Beleuchtungsabgabe für Grundeigentümer nicht zulässig ist, gilt dies umso mehr für Strombezüger», sagt Wiederkehr. Denn auch hier fehlten sachliche Gründe, diese Abgabe nur von bestimmten Abgabepflichtigen zu verlangen. «Strombezüger profitieren nicht stärker von der Beleuchtung als der Rest der Bevölkerung», sagt Wiederkehr.

Gemäss Bezirksratspräsident Meinrad Schwarz ist eine Abgeltung von Stadtwerk an den Steuerhaushalt grundsätzlich möglich, quasi als Entschädigung für das unternehmerische Risiko. Es brauche dazu eine entsprechende gesetzliche Grundlage in Form einer Verordnung. Die Verknüpfung mit dem Stromverbrauch sei jedoch «speziell». Konkreter wollte er sich nicht äussern. Aufgrund des Antrags des Stadtrats sehe er keine Notwendigkeit, aufsichtsrechtlich aktiv zu werden. Es liege keine klare Rechtsverletzung vor. Eindeutig sei die Rechtslage aber nicht.

Betroffene können Klärung verlangen

Um Klarheit in der Frage zu erhalten, ob das Vorgehen der Stadt korrekt ist, bräuchte es ein Rechtsmittelverfahren. Ein solches kann jeder Betroffene, also jeder Stromzahler, einleiten.

Preisüberwacher Stefan Meierhans stellt kommunale Abgaben auf Strom generell infrage, diese seien aber in der Praxis nicht unüblich. «Es ist unbestritten, dass solche Abgaben einen Einfluss auf die Konsumentenpreise haben.» Er sei deshalb der Meinung, dass die Stadt die Stadtwerke für die Erbringung der öffentlichen Beleuchtung abgelten sollte.

Stadtrat Matthias Gfeller (Grüne) hat für die Kritik der Juristen wenig Verständnis: «Das Vorgehen, wie wir es vorschlagen, ist in anderen Städten bereits gelebte Praxis, also darf es für uns nicht verboten sein.» Philipp Egli sagt dazu, in der Tat sei das «Erfinden solcher Sonderabgaben zurzeit in Mode». Bisher hätten die Gerichte dies recht grosszügig toleriert. «Es wird aber Zeit, dass dem Einhalt geboten wird», so Egli.

Gfeller verweist darauf, dass das Bundesrecht «Abgaben an das Gemeindewesen» vorsehe. Wiederkehr entgegnet, dies seien lediglich Verweisungsnormen: «Es bleibt dabei, Kausalabgaben brauchen eine klare gesetzliche Grundlage und setzen ein Austauschverhältnis voraus. Dieses fehlt bei den Beleuchtungsabgaben.»

Stadtschreiber Arthur Frauenfelder sagt, man sei sich bewusst, dass die rechtliche Lage nicht so klar sei. «Wir haben deshalb sorgfältig abgeklärt und kamen zum Schluss, dass dieser Vorschlag ein gangbarer Weg ist.» Man habe auch entsprechende Signale vom Bezirksrat und vom Gemeindeamt des Kantons erhalten. Trachte man nach einer reinen Lösung im System von Steuern und Gebühren, komme man wohl auf einen anderen Weg. «Aber der Gesetzgeber ermöglicht solche Abgaben und das nutzen wir.»

Stadtrat Gfeller ist gesprächsbereit

Obwohl er vom Vorschlag des Stadtrates überzeugt ist, zeigt Gfeller sich gesprächsbereit: «Es ist mir wichtig, eine juristisch durchdachte Lösung sicherzustellen.» Das Geschäft wird derzeit noch in der Bau- und Betriebskommission des Gemeinderats diskutiert. BBK-Mitglied Beat Meier (GLP) wollte sich inhaltlich noch nicht äussern. In den Gemeinderat kommt das Geschäft voraussichtlich Ende November. Mirjam Fonti